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Gewalt in der Schwangerschaft und unter der Geburt – das ist ein Thema, was so viele Frauen betrifft! Mich beschäftig dieses Thema schon sehr lange. Warum? Wann immer ich mit Frauen darüber ins Gespräch komme, bekomme ich mit, wieviele unschöne Dinge sie in der Schwangerschaft und unter der Geburt erlebt haben. Ich selber habe Gewalt, Verachtung und eine Vergewaltigung unter der Geburt erfahren. Ich habe von vielen Frauen Dinge gehört, die man sich nicht vorstellen möchte und kann. Dieses Thema ist so tiefgehend, so schambehaftet und oft so unaussprechlich.

In diesem Blog-Artikel möchte ich mich den Fragen stellen: was ist alles erlebte Gewalt in der Schwangerschaft und unter der Geburt? Warum schweigen wir? Und warum wollen wir diese Dinge lieber nicht hören?

Mir ist klar, dass dieses Thema ein riesiges Feld ist und ich nur einen Teil davon auf persönliche Art und Weise anreißen werde. Umso mehr wünsche ich mir, dass dieses so wichtige Thema noch mehr als bereits in den vergangenen Jahren in der öffentlichen Diskussion, im Bewusstsein der Frauen, Partner, Ärzte und Hebammen einen Platz findet. Dass das Thema Gewalt in der Geburtshilfe aus der Tabuzone rauskommt!

Die Besonderheit der Situation

Jede Schwangerschaft und Geburt ist ein ganz besonderes Ereignis im Leben einer Frau. Die Fähigkeit, Leben zu schenken und das Leben in sich heranwachsen zu fühlen, ist einzigartig. Es ist mit vielen Erwartungen, meist mit Freude, oft aber auch mit Ängsten und Sorgen verbunden. Plötzlich kennt man sich und seinen Körper nicht mehr. So, wie wir in der Regel groß geworden sind, haben wir nicht gelernt, Vertrauen in unseren Körper zu haben. Schwangerschaft und Geburt sind Ereignisse, die wir komplett neu erfahren. Regelmäßige Besuche beim Frauenarzt sind die Regel.

So lesen sich die Vorsorgemaßnahmen auf der Seite der Frauenärzte im Netz . Meinem Empfinden nach fördert das nicht das Vertrauen in den eigenen Körper und die eigene Wahrnehmungen. Und ich glaube, dass Frauen neben einer guten und angemessenen Vorsorge, das Vertrauen in sich, die eigene Kraft und den eigenen Körper brauchen, um die Schwangerschaft und Geburt möglichst trauma- und gewaltfrei erfahren und gestalten zu können. Sowie eine gute Hebamme an ihrer Seite.

Während der Schwangerschaft ist es noch möglich, sich jederzeit einen anderen Arzt, Hebamme – soweit verfügbar – oder Geburtsort zu suchen. Ist die Geburt erst einmal ins Laufen gekommen und fortgeschritten, gibt es diese Wahl nicht mehr! Also geht alles seinen Gang … es sei denn, das Thema ist so präsent, dass Frauen (und Männer) beginnen sich zu trauen zu sagen, dass sich etwas nicht richtig und okay anfühlt!

Beispiele für Gewalt in der Schwangerschaft und unter der Geburt

  • Vergewaltigungen unter der Geburt = vermehrte und unsensible vaginale Untersuchungen bis zum Bluten
  • verbale Beschimpfungen und Erniedrigungen
  • Dammschnitte
  • Festhalten
  • keine freie Wahl der Gebärposition
  • Zeitdruck unter der Geburt
  • vorzeitiges Abnabeln statt Auspulsieren zu lassen
  • Vorgenommene Abtreibungen und Abbrüche – schnell und ohne Aufklärung – z.B wenn der Fötus Fehlbildungen hat
  • Umgang mit Fehlgeburten überhaupt
  • keine Wahl, Begleitung oder Aufklärung zu bekommen, ein verstorbenes Kind auch still gebären zu können statt Ausschabung
  • Schwangerschaft als Krankheit zu sehen und kontrollierbar machen zu wollen
  • Kollektives weibliches Trauma des Erduldens
  • Kinder, die nach der Geburt einfach weggenommen werden (gängige Praxis in den Krankenhäusern in den 60er und 70er Jahren in Deutschland),

Zum Glück ist in den letzten Jahren dieses Thema der Gewalt und Traumatisierung unter der Geburt, im Kreissaal immer mehr auf den Tisch gekommen. Sei es durch großartige Kongresse wie den Geburtstrauma-Kongress, durch Erfahrungen in der Trauma-Therapie oder auch Rückführungen in den Mutterleib.

Warum so viele Frauen schweigen!

Auch ich habe lange geschwiegen und oft nur mit großer Scham und mit Tränen über meine Erlebnisse bei der Geburt meines Sohnes geredet. Warum ist das so? Ich glaube, für mich war das, was ich erfahren habe, zu unfassbar und unbegreiflich, um es wirklich zu verstehen und zu glauben. Es passierte unter Zeugen (Hebamme und Partner), die ebenfalls geschwiegen haben. In einer Situation, in der ich einfach nur mein Kind in den Armen halten wollte und auf Unterstützung angewiesen war. Ich war nicht darauf vorbereitet, dass mir Gewalt unter Geburt passieren könnte.

Warum haben wir verlernt, uns und unserem Körper zu vertrauen. Warum glauben wir den Ärzten mehr, als unserem Gefühl? Wieviel Mut gehört dazu, eigene Wege zu gehen und sich zu vertrauen.

Warum schweigen wir über Erfahrungen von Gewalt unter der Geburt?

  • kollektives weibliches und vererbtes Trauma
  • religiöse, christliche, katholische Prägungen, christliche Urschuld aus dem Sündenfall (Unter Schmerzen sollst du Kinder gebären, das unreine Weib, der Sündenfall)
  • Scham und Schuldgefühle
  • Sprüche wie: „sei doch einfach froh, dass dein Kind gesund ist“
  • Oder: „jetzt ist es ja vorbei“
  • als labil, emotional, hysterisch oder …. abgetan zu werden
  • Persönliche Glaubenssätze wie:
    • mit mir stimmt was nicht
    • ich kann es nicht
    • stell dich nicht so an
    • Geburt tut einfach weh, Frau muss das erdulden
    • jede Frau hat das bisher erduldet
    • darüber redet man nicht
  • Unvorstellbarkeit, dass das, was mir gerade passiert und was ich wahrnehme, real ist – also nehme ich es einfach hin, auch wenn es mir alleine bei dem Gedanken daran schlecht geht
  • der Schmerz, darüber zu sprechen, ist einfach zu groß
  • sich nicht noch einmal dem Gefühl der Ohnmacht, Hilflosigkeit und dem Ausgeliefert sein aussetzen
  • das Umfeld (Mann, Hebamme) machen mit – kollektives Stillschweigen
  • Angst, das Umfeld damit zu überfordern
  • Sorge davor, abgewiesen zu werden
  • Angst davor, als verrückt angesehen zu werden
  • nicht aus der Rolle fallen wollen und den Schein der glücklichen Mutter wahren

Was ist dein Grund, warum du bisher geschwiegen hast?

Lässt sich dieses Vertrauen in uns wieder lernen? Und wenn ja, wie?

Darüber zu reden und das Schweigen und das Tabu zu brechen! Aufklären! Manchmal habe ich auch Lust zu schockieren. Aber vor allem geht es darum, anderen Frauen zu signalisieren: Hey, das ist nicht okay und nicht normal, dass das passiert ist. Mit dir ist nichts falsch und du bist nicht Schuld! Du wolltest das Beste für dein Kind und in diesem Moment sahst du keinen anderen Weg, als einfach weiter mitzumachen und über dich ergehen zu lassen. Und ja, es war eine Vergewaltigung und du darfst das so benennen. Du darfst wütend sein und mit deiner Wut und Offenheit dafür sorgen, dass andere Frauen auch beginnen, sich damit zu zeigen. Urwunde. Urschmerz.

Denn oft realisieren wir erst viel später, dass das, was wir unter der Geburt erlebt haben, nicht selbstverständlich und okay ist. Ich habe erst 13 Jahre nach der Geburt von dem Roses Revolution Day erfahren. In dem Moment habe ich mir erst eingestanden, dass ich eine Vergewaltigung und Gewalt unter der Geburt erfahren habe. Für mich war das wie eine Erlösung! Endlich konnte ich das in Worte fassen, was vorher einfach nur ein persönliches, unaussprechliches und schmerzhaftes Erlebnis war. Deswegen finde ich es so wichtig, dass es mutige Frauen und Männer gibt, die darüber reden und anderen Schwangeren Frauen und Paaren Mut machen, das nicht alles einfach so hinzunehmen.

Ich glaube tatsächlich, dass der wichtigste Schritt der ist, darüber zu reden, sich auszutauschen. Ich bin sicher, dass fast jede Frau auf die eine oder andere Weise Verletzungen aufgrund ihrer Weiblichkeit erlebt haben – Demütigungen, wenig Wertschätzung.

Was machen diese Erfahrungen eigentlich mit den Kindern?

Hast du dich schon mal gefragt, wie das Baby diese Erfahrungen erlebt? Wie sehr es durch diese Erfahrung geprägt wird? Vielleicht kämpft der Mensch lebenslang mit Schuldgefühlen, weil er sich als den Grund für das Leid der Mutter sieht? Oder die Frau, die als Baby ihre eigene Geburt unter Gewalt erlebt hat, gibt sich vielleicht selbst das Versprechen, niemals Kinder haben zu wollen und versteht später nicht, warum es nicht klappt, schwanger zu werden? Vielleicht leidet dieser Mensch darunter, dass die Mutter nach der Geburt so traumatisiert war, dass sie ihr Kind nicht annehmen konnte?
In der Hypnose-Arbeit mit meinen Klienten landen wir sehr häufig in dieser Zeit im Mutterleib oder während der Geburt. Die Klienten können sehr detailliert über ihre Erfahrungen und Erlebnisse im Mutterleib oder unter der Geburt berichten.

Das lehrt mich, dass das Kind alles, was während der Schwangerschaft und unter der Geburt geschieht, mitbekommt. Und dass solche Erlebnisse sowie die Gefühle, die die Mutter hatte, nachhaltig das Leben, die Sicht auf die eigene Person, auf das Frau-Sein, die Einstellung zu Schwangerschaft und Geburt sowie das Urvertrauen prägen.
Wie dürfen also nie aus dem Auge verlieren, dass neben den Müttern (und Vätern) auch die Kinder dieses Trauma in sich tragen!

Ausblick und Hoffnung

Was ist, wenn wir alle beginnen, hinter die Fassade zu schauen? Und uns hinter die Fassade schauen lassen? Wenn wir damit beginnen, die Dinge, die persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen, öffentlich zu machen? Die Scham überwinden und aus dem kollektiven Trauma aussteigen. Schwangeren das Vertrauen in ihren Körper und ihre Intuition lehren? Wenn die Politik sich so ändern würde, dass wieder mehr Hebammen bereit wären, Hausgeburten durchzuführen?

Stellen wir uns eine Welt vor, in der jede Frau selbstbestimmt gebären kann. Ohne Zeitdruck und ohne Zwang. Und auch jedes Kind in Ruhe ankommen kann und darf.

Es gibt bereits einige sehr wichtige Anlaufstellen und Initiativen, die Unterstützung anbieten, Mut und Hoffnung machen.
Ein erster wichtiger Schritt zur Verbesserung der Situation unter der Geburt ist übrigens eine im Januar 2021 veröffentliche „Leitlinie zur Geburt“.
Eine wunderbar Hebamme, die Online informiert, aufklärt und berät: NaturalBirthingPower.
Globaler Aktionstag gegen Gewalt in der Geburtshilfe Roses Revolution Day, Selbsthilfegruppen, wie z.B. die Rosenmütter.

Was du als Schwangere tun kannst

  • Suche dir eine Hebamme, der du vertraust und bei der du dich wirklich aufgehoben fühlst
  • Informiere dich über Alternativen zur Klinikgeburt
  • Vielleicht ist eine Beleghebamme deine Wahl?
  • Überlege dir mit deinem Partner (oder Begleitperson) zusammen, wie ihr die Geburt eures Kindes wünscht und was ihr nicht wollt
  • findet heraus, was auf gar keinen Fall geht und gebe deinem Partner die Erlaubnis oder den Auftrag, zu handeln und für euch zu sprechen, wenn etwas geschieht, was ihr nicht wollt
  • Stelle Fragen und sei neugierig
  • Hinterfrage Dinge, bei denen du unsicher bist oder dich unwohl fühlst
  • informiere dich – recherchiere im Netz, rede mit anderen Frauen…
  • achte auf dein Körpergefühl, deine Gefühle und Impulse – nutze die Zeit der Schwangerschaft, dich und deinen Körper besser kennenzulernen
  • sprich darüber, wenn du dich unwohl fühlst
  • Bedenke: Schwangerschaft ist keine Krankheit und sollte auch nicht so behandelt werden!

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